News Item: Football in Hamburg
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Hamburger Abendblatt 6./7.10.01
FOOTBALL
"Ich glaube an ein blaues Wunder"
Die Blue Devils stehen am Sonnabend (17.30 Uhr) in Hannover in der German Bowl. Quarterback Matt Cannon über Gott und die Teufel.
ABENDBLATT: Mr. Cannon, Sie haben als Mormone dem Alkohol entsagt. Wie können Sie es mit Ihrem Glauben vereinbaren, ein Finale zu spielen, an dem eine Brauerei die Namensrechte hält?
CANNON: Weil ich Mormone bin, trinke ich keinen Alkohol, das ist klar. Aber ich bin dankbar für das Geld, mit dem sich Holsten engagiert. Ich spiele Football, Holsten ist Sponsor. Wenn andere Spieler ein bisschen trinken, ist das kein Problem. Wenn man beim Training austrocknet, schon.
ABENDBLATT: Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem Leben?
CANNON: Eine sehr wichtige. Ich gehe jeden Sonntag für drei Stunden in die Kirche der Mormonengemeinde in Pinneberg, ich versuche mich an die Gebote zu halten, anderen zu helfen und Gott in den Mittelpunkt meines Lebens zu stellen. Ich habe festgestellt, dass alles andere dann viel besser läuft: Ich bin glücklich, mache besseren Sport - weil Gott die erste Stelle einnimmt.
ABENDBLATT: Gab es ein bestimmtes Erlebnis in Ihrer Jugend, durch das Sie zu dieser Überzeugung gelangt sind?
CANNON: Ich habe meinen Eltern vertraut, aber ich musste es für mich selbst herausfinden.
ABENDBLATT: Wann war das?
CANNON: Zwischen meinem 17. und 19. Lebensjahr. Zunächst habe ich die Bibel gebetet und das Buch Mormon. Ich hatte das Gefühl durch den Heiligen Geist, dass diese beiden heiligen Schriften wahr sind, dass Jesus für mich gestorben ist, dass ich durch ihn zum Tod zurückkehren kann. Das hat mir viele Fragen beantwortet: wer ich bin, woher ich komme, wohin ich nach diesem Leben gehe. Ich glaube, dass wir alle auferstehen werden, dass wir bei Gott leben können, dass die Familie auf ewig zusammenbleibt, wenn sie fest an Christus glaubt. All das hilft mir dabei, glücklich zu sein und zu wissen, was der Zweck meines Lebens ist.
ABENDBLATT: Sie sprechen hervorragend Deutsch, seit Sie 1994 bis 1996 im Rhein-Main-Gebiet als Missionar tätig waren. Wie sah Ihr Alltag damals aus?
CANNON: Die meisten Menschen haben in uns die jungen Männer mit weißem Hemd und Namensschild gesehen. Wir haben Straßenausstellungen gemacht, das Buch Mormon verteilt, mit den Menschen auf der Straße gesprochen, wir sind von Tür zu Tür gegangen, haben in der Kirchengemeinde Dienst geleistet.
ABENDBLATT: An Sport war damals also gar nicht zu denken?
CANNON: Nein. Ich habe nur morgens ein bisschen trainiert, aber keinen Football.
ABENDBLATT: Trat der Sport durch die Religion in den Hintergrund?
CANNON: Der Sport war immer Teil meines Lebens, aber er ist nie das Wichtigste für mich. Ich mache das gern, zurzeit als Beruf, am liebsten so lange wie möglich. Als ich damals nach Salt Lake City heimkehrte, wusste ich, dass ich noch mal spielen wollte.
ABENDBLATT: Was konnten Sie aus Deutschland mitnehmen?
CANNON: In einem anderen Land lernt man vieles fürs Leben. Die Zeit in Deutschland hat auf jeden Fall mein Zeugnis, meinen Glauben gestärkt. Ich habe eine andere Kultur kennen gelernt und habe dadurch viel über mich selbst erfahren. Die Deutschen sind nicht so aufgeschlossen wie die Amerikaner, aber wenn man die Wand aufbohrt, sind sie so treu und ehrlich, das mag ich. Bei uns spricht man oft durch die Blume. Wenn man in Deutschland Nein sagt, bedeutet es Nein, wenn man Ja sagt, heißt es Ja. Das versuche ich für mich zu übernehmen.
ABENDBLATT: Bei den After-Game-Partys halten Sie sich nicht lange auf . . . CANNON: Normalerweise nicht. Ich esse schnell etwas, ansonsten mache ich das für die Fans und die Spieler. Wir quatschen ein bisschen, ich mache das gern, aber ich bleibe nicht so lange. ABENDBLATT: Worin liegt der größte Unterschied zwischen Football in Deutschland und in den USA?
CANNON: In den USA sind die Spieler schneller als in Deutschland. Es gibt hier einige gute Athleten, aber das Spiel ist nicht so schnell wie in Amerika. Der zweite ist die Atmosphäre: Die Fans sind viel lauter, ich mag es, wenn sie Lieder singen. Und wir trainieren nur dreimal pro Woche. Zu Hause habe ich jeden Tag vier Stunden und mehr trainiert.
ABENDBLATT: Trotz dieses hohen Aufwandes hat es bei Ihnen noch nicht mit einer Profikarriere in der National Football League (NFL) geklappt. Warum nicht?
CANNON: In den USA trainiert fast jeder vier Stunden am Tag. Es gibt so viele, die in der NFL spielen möchten.
ABENDBLATT: Aber Sie halten doch vier Rekorde im College-Football, darunter 69 Touchdowns!
CANNON: Das hat mir geholfen, aber mein Nachteil war, dass wir an der Uni auf das Laufspiel gesetzt haben, und das gibt es in der Form nicht in der NFL. Ich habe Camps besucht, bei einem Team gab es 17 Scouts. Ich habe mit den Detroit Lions gesprochen, mit New England, ein bisschen mit San Francisco. Und weil ich nicht so viel geworfen habe, haben sie mich gefragt, ob ich Passempfänger spielen kann oder in der Defense oder ein Jahr woanders.
ABENDBLATT: Aber Sie wollten unbedingt Quarterback spielen. Weil Sie gern die Kontrolle über das Spiel haben?
CANNON: Ja, und weil ich denke, dass ich damit die besten Chancen in der NFL habe. Es gibt Dinge, die man nicht verlernen kann: dass man ein Leader sein muss, dass man intelligent ist, dass man die richtigen Entscheidungen trifft. Solche Sachen mache ich gern, und ich denke, dass ich sie gut mache. Und auf anderen Positionen habe ich die Gelegenheit nicht so oft.
ABENDBLATT: Warum ist der Traum so groß, als Quarterback in der NFL zu spielen - abgesehen vom Geld?
CANNON: Das Geld ist gut, aber ich liebe das Spiel, von Anfang an. Wenn ich aufs Feld gehe, ist das ein Zufluchtsort für mich. Dort weiß ich, dass ich ein bisschen Kontrolle habe, weiß, wo mein Gegner ist, und ich weiß, was ich tun muss.
ABENDBLATT: Aber in der NFL zählt nur das Geld, die Teams sind zusammengekauft . . .
CANNON: . . . es ist ein Business. Das finde ich schade. Je weiter oben man spielt, desto mehr ist es Geschäft. Es ist weniger Spaß, es ist Stress, die Trainer sind nicht so treu zu den Spielern, es geht um Geld, es geht um Millionen Dollar, jedes Jahr. Das ist schade, aber so ist es.
ABENDBLATT: Haben Sie nicht Sorge, dass Ihnen der Spaß verloren gehen könnte in der NFL?
CANNON: Doch. Deswegen bin ich hier in Deutschland. Es ist locker, es ist einfach Sport.
ABENDBLATT: Dennoch wollen Sie es noch mal in der NFL oder in Kanada als Profi versuchen.
CANNON: Das Geld spielt eine Rolle, auf jeden Fall. Ich will das Beste tun, was ich kann. Und zurzeit ist die NFL das Beste für einen Footballspieler.
ABENDBLATT: Wie bewirbt sich dort ein möglicher German-Bowl-Sieger mit Europa-Erfahrung?
Agenten Scott Lieber aus Utah sprechen, damit wir Videos an die verschiedenen Teams schicken können.
ABENDBLATT: Glauben Sie ernsthaft, dass es die NFL interessiert, was in der German Football League passiert?
CANNON: Normalerweise nicht. Die werden sich kaum fragen: "Was gibts diese Woche bei den Blue Devils?" Aber die wissen schon, dass es hier eine Liga gibt.
ABENDBLATT: Es gibt auch andere wie Ihren US-Mitspieler Estrus Crayton, die vielleicht lieber hier spielen, weil sie hier Starter und Star sind. Sind Sie gern ein Star?
CANNON: Jeder ist das gern. Ich bin nicht unbedingt ein Star, es ist doch erst mein erstes Jahr in Deutschland. Wenn ich gut davon leben könnte, würde ich auch überlegen, hier zu bleiben.
ABENDBLATT: Welchen Druck verspüren Sie denn kurz vor der German Bowl? Druck auf sich, Druck auf das Team?
CANNON: Wie vor jedem Spiel spürt man ein bisschen Druck, besonders als Quarterback, weil ich die richtigen Entscheidungen treffen muss. Es gibt kein Morgen, wenn man verliert.
ABENDBLATT: Wie äußert sich das? Schlafen Sie schlecht?
CANNON: Nein, überhaupt nicht. Ich bin mehr begeistert als nervös, das ist mein erstes großes Endspiel. Aber wenn wir jetzt daran denken: "Oh, der Gegner heißt Braunschweig!", dann verkrampft man. Als Quarterback muss ich nicht nur mit Emotion und Passion, sondern auch mit Ratio spielen, cool bleiben. Manchmal muss ich mir an der Sideline sagen: "Tief atmen, ruhig bleiben, alles okay!"
ABENDBLATT: Sie haben noch einen Vertrag bis 2003 in Hamburg. Wenn es mit der NFL-Karriere nicht mehr klappt, was dann? Was kommt danach?
CANNON: Ich würde gern noch drei Jahre Jura studieren und vielleicht an der Uni Lehrer werden. Oder ich mache etwas mit Politik, ich habe an der Uni Politik und Englisch abgeschlossen.
ABENDBLATT: Mehr noch: Sie waren "Southern Utahs Outstanding Language and Literature Student". Sie waren also anders als viele Ihrer Kollegen nicht nur zum Footballspielen an der Uni?
CANNON: Wenn ich mich schwer verletzt hätte, wäre es ja aus gewesen. Meine Mutter, sie ist Lehrerin an der Highschool in Salt Lake City, hat von Anfang an gesagt: "Erst die Hausaufgaben, dann kannst du Sport machen." Ich weiß, dass ich nur noch vier bis sechs Jahre Football spielen werde, vielleicht ein paar mehr, aber danach habe ich viel Zeit. Deswegen habe ich das Studium sehr ernst genommen.
ABENDBLATT: Sie haben gesagt, dass Sie gern Entscheidungen treffen. Sind Sie auch im Leben ein Quarterback - und Ihre Frau Jennifer ist der Receiver?
CANNON: (lacht) Nein, überhaupt nicht. Auf dem Spielfeld sage ich: "So machen wir das, hier gehts lang!" Aber wenn ich zu Hause bin, nehme ich das etwas lockerer und frage: "Was möchtest du machen?" Wichtig für ein gutes Verhältnis ist, dass wir miteinander sprechen, dass wir gleichberechtigt sind.
ABENDBLATT: Glauben Mormomen an blaue Wunder?
CANNON: Das letzte Jahr war furchtbar für die Blue Devils - habe ich gehört. Jetzt glaube ich daran. Und was auch immer passiert, es war eine wirklich erfolgreiche Saison.
Interview: ACHIM LEONI, STEFAN RECKZIEGEL
Hamburger Morgenpost 08.10.01
Wie so oft in dieser Saison verstand es der Motivationskünstler den richtigen Ton anzuschlagen: Zur Vorbereitung zeigte er seinem Team den legendären WM-Profiboxkampf Muhammad Ali gegen George Foreman in Kinshasa von 1974. Die simple Botschaft: "Ihr könnt es schaffen."
Und die Teufel schienen daran zu glauben, allen voran Matt Cannon. Der Quarterback nahm das Ei zweimal bis in die Endzone selbst in die Hand und warf einen Touchdown-Pass auf Marico Gregersen. "Anfangs waren wir etwas nervös", gab der US-Spielmacher zu, der zum wertvollsten Spieler gewählt wurde. "Aber als wir fünf Sekunden vor der Halbzeit ausgeglichen haben, kam das Selbstvertrauen zurück."
Statt Crayton, den die Lions an die Kette legten, avancierte Quarterback Matthew Cannon zum Hauptakteur der Blue Devils. Die 23 193 überwiegend fachkundigen Zuschauer wählten den gläubigen Mormonen per SMS zum wertvollsten Spieles des Finales.
Der Matchwinner der Devils wollte von einem Sonderlob nichts wissen: Matt Cannon sprach von einer "Glanzleistung der Defense", war hin und weg nach dem Erfolg: "Das werde ich meinen Verwandten in Amerika erzählen. Die 23000 Zuschauer hier in Hannover waren lauter als 100000 bei uns."
Dabei war Crayton gegen die Lions vor 23193 Zuschauern im Hannoveraner Niedersachsenstadion gar nicht mal der überragende Akteur. Doch allein seine Anwesenheit lähmte die Lions. Zu acht stürtzten sie sich auf ihn und vergaßen völlig, dass Quarterback Matt Cannon auch Touchdowns hinlegen kann. Zwei davon steuerte der gläubige Mormone zum Triumph bei, war der wertvollste der alles überragenden Devils, die erst Ende des dritten Viertel den Sack zumachten und vorher richtig schweres Spiel hatten
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